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Ethnologie der Ju/'Hoansi

Ein Überblick über die Ethnologie der Ju'Hoansi-San, einer der ältesten Jäger- und Sammlerkulturen, wiederzufinden im Living Museum of the Ju/'Hoansi.

Herkunft

Die Ju/’Hoansi-San sind die größte und bekannteste Untergruppe der San (Buschleute) und sind sollen die am intensivsten studierte ethnische Gruppe der Welt sein. Der indigene Name Ju/’Hoansi, den sich die San selbst gaben, bedeutet in ihrer Sprache „die wirklichen Menschen“. Die San gelten als die „Ureinwohner“ Namibias, und das nicht von ungefähr, denn alle ihre Untergruppen, so auch die Ju/’Hoansi, besitzen eine Gemeinsamkeit im Verständnis ihrer Herkunft: Sie selbst entwickelten im Vergleich zu anderen Kulturgruppen des südlichen Afrikas keine Migrationsmythologie, sie sind also der Auffassung, sie sind schon immer hier gewesen.

Die akademischen Herkunftstheorien der San beruhen auf relativ wenig fundierten Annahmen. Einige Archäologen versuchen 60.000 Jahre alte fossile Überreste in Südafrika mit den San in Verbindung zu bringen während andere glauben, ihre ehemaligen Verbreitungsgebiete bis nach Ägypten zurückverfolgen zu. Eine gegenwärtig verbreitete Theorie besagt, dass die San vor 10.000-12.000 Jahren aus Ostafrika ins südliche Afrika migrierten (vgl. Barnard 1992, 28f).

Die Ju/'Hoansi - Eines der ältesten Völker der Menschheit?Die Ju/'Hoansi - Eines der ältesten Völker der Menschheit?

Sozialleben

Die Ju/’Hoansi lebten ursprünglich in kleinen Gruppen von meist nicht mehr als 25 Personen in einem relativ wasserreichen Randgebiet des Kalahari-Beckens. Als ursprüngliche Jäger- und Sammlergemeinschaft sind die Ju/’Hoansi wie auch andere Bewohner dieses Gebietes insbesondere im niederschlagslosen Winter von den permanent Wasser beinhaltenden Wasserlöchern abhängig. In den trockenen Monaten teilten sie daher die Wasserlöcher mit anderen Nomaden, wie kleinen Gruppen Hereros und Tswanas. In den Regenmonaten versuchten die Ju/’Hoansi die permanenten Wasservorräte nicht unnötig zu belasten und fanden auf ausgedehnten BuschwanderungenWasser in Baumhöhlen oder in temporär bestehenden Wasserlöchern. Die Männer betrieben zwei Arten der Jagd: Einerseits die waffenlose Ausdauerjagd, die älteste bekannte Jagdmethode des Menschen und andererseits die Jagd mit Giftpfeilen. Durch das Leben im relativ wasserreichen Kalahari-Randgebiet kannten und benutzten die Ju/’Hoansi viele hundert ess- und verwertbare Pflanzen, von denen die Mangetti-Nuss und die Wasserwurzel zu den wichtigsten gehörten. Wie alle „Naturvölker“ waren also auch die Ju/’Hoansi auf hoch entwickelte Überlebenstechniken angewiesen, die ihr Überleben in der wilden und relativ kargen Umgebung gewährleisteten. Die Weitergabe des traditionellen Wissens über Pflanzen und Gifte, damit verbundene Behandlungsweisen, Medizin- und Heilungszeremonien, Fallen- und Jagdtechniken, Methoden der Wasserspeicherung und vieles mehr war und ist für die San. Die Ju/’Hoansi kannten verschiedene Methoden, die die Überlieferung dieses  identitätssichernden Wissens gewährleisteten. Einer der wichtigsten Methoden ist die Buschwanderung. Schon im Säuglingsalter wurden die Kinder auf die ausgedehnten Wanderungen mitgenommen und bekamen auch sonst das oft entbehrungsreiche Leben der Ju/’Hoansi in vollen Zügen und unverzerrt mit.

Einer der Besonderheiten des Sozialisationsprozesses der Ju/’Hoansi war die Gleichheit von Mädchen und Jungen, die sich beim Spielen aber auch bei der kompletten Sozialisation der Kinder durch beide Elternteile sowie durch die komplette erweiterte Familie zeigte. Ein Beispiel wie sich dies in der Praxis traditionell jagender Ju/’Hoansi darstellt ist die Teilung von Fleisch unter den Familien der Jäger. Nicht der erfolgreiche Schütze wurde bei der Jagd als „Besitzer“ des Fleisches angesehen und gewürdigt, sondern der Hersteller des todbringenden Pfeils. Dieser teilt das Fleisch mit den anderen Jägern, diese wiederum mit ihren Familien und Großfamilien. Diese Teilung, nicht nur von Fleisch, sondern auch von anderen Konsumartikeln oder eingehandelten Waren, war streng reguliert und wurde in Riten und Zeremonien praktiziert. Die Riten wurden dabei einerseits von der Reproduktion und Nacherzählung der alltäglichen Vorkommnisse im gefährlichen Busch und andererseits von den religiösen Annahmen der Ju/’Hoansi dominiert.

Naturvolk Ju'HoansiNaturvolk Ju/'Hoansi

Religion und Ritus

Die Ju/’Hoansi glaubten an ein göttliches Universum, welches von einem Hauptgott, einem Nebengott deren Frauen und Kinder sowie von den Geistern der Toten bewohnt wird. Es wird angenommen, dass durch die Tänze und Trancezeremonien in verschiedenen Phasen mit den Ahnengeistern kommuniziert wurde, die für Krankheiten unter den Sterblichen verantwortlich sind. Der meist männliche Heiler benötigte für diese Kommunikation mehrere Jahre Übung. Stark ritualisiert waren auch die Initiationsriten mit denen der Eintritt der Jungen und Mädchen ins Erwachsenenalter zelebriert wurde. Bei Jungen, die genug Mut bewiesen hatten, wurde das ca. einwöchige Initiationsritual durch den Höhepunkt des Tötens einer eigenen großen Antilope, im besten Falle einer Elen-Antilope, und des Tätowierens des Jungen mit Fleisch des Tieres abgeschlossen. Bei den Mädchen, die bei weitem früher initiiert wurden, war der Anlass der Beginn der Menstruation. Die Mädchen wurden für den Zeitraum ihrer ersten Periode in einer separaten Hütte untergebracht.

Trancetanz Trancetanz

Das Leben der Ju/’Hoansi heute

Anthropologen, die zwischen 1950-1960 die Ju/’Hoansi untersuchten, beschrieben die Sprachgruppe als fast unberührt von der Außenwelt, als noch absolut ursprüngliche Jäger und Sammler. Danach begann sich das Leben der Ju/’Hoansi unter der südafrikansichen Administration stark zu verändern. Spätestens ab 1970 wurde das ursprüngliche Leben der Ju/’Hoansi in Namibia von einigen wesentlichen Eingriffen seitens der Besatzungsmacht verändert. Im Zuge des auf der Apartheidspolitik basierenden Odendaal-Plans wurde 1970 das „Buschmannland“ im heutigen Namibia geschaffen. Dieser Plan veranlasste viele der bis dahin noch traditionell lebenden San, sich in Tsumkwe, der „Hauptstadt“ von Buschmannland anzusiedeln, was dadurch noch begünstigt wurde, dass in Tsumkwe eine Schule und ein „Verwaltungscamp“ entstanden. Der Einfluss dieses Sieldungsplanes war desaströs. Die Arbeitslosigkeit war hoch, Alkoholmissbrauch war weit verbreitet und die bis dahin relativ ausgewogene Kost durch vítaminreiche Buschpflanzen und Fleisch wurde durch Maisbrei ersetzt.

Die Lebensbedingungen in Tsumkwe sollen so schlecht gewesen seien, dass die Ju/’Hoansi die Stadt „Platz des Todes“ nannten. 1978 entstand in Tsumkwe eine Militärbasis der Südafrikaner. Einige hundert Ju/’Hoansi wurden in den militärischen Dienst eingezogen und arbeiteten insbesondere als Spurenleser für die südafrikanische Armee. Auch wenn daraufhin einige San wieder in ihre traditionellen Territorien zurückkehrten, konnten sie ihre Tradition kaum noch so aufrechterhalten, wie es ihren ursprünglichen Lebensbedingungen entsprach. Insbesondere durch den Zwang, während des folgenden bewaffneten Kampfes der Südafrikaner gegen die Namibische Unabhängigkeitsbewegung auf Seiten der Südafrikaner zu kämpfen, wurden sie geschädigt. Dies hatte zudem Folgen für ihren gegenwärtigen sozialen Standpunkt in Namibia, denn das Bild des auf der gegnerischen Seite gegen die Unabhängigkeit kämpfenden „Buschmann“ wird teils noch heute bemüht, Stigmatisierung, Diskriminierung und politische Vernachlässigung sind die Folge. Dies führte zu einer Intensivierung der sozialen Probleme, was man in keinem anderen Bereich so eindeutig erkennen kann, wie im Bildungssektor. Während sich die namibische Regierung für die erhöhte Ausbildung anderer Sprachgruppen, wie die der Oshiwambo, die ohne Frage auch starke, soziale Probleme haben, stark macht, werden die San im namibischen Bildungssystem extrem vernachlässigt, was man an geringen Alphabetisierungs- und Einschulungsraten erkennen kann.

In Gebieten mit hohen Ju/’Hoansi Bevölkerungsanteilen gibt es ohne Zweifel eine erhöhte Arbeitslosigkeit und sehr geringe Kaufkraft, ein Hang zur Trunksucht und Probleme mit Gewalt, Orientierungslosigkeit und Antriebslosigkeit, Anfälligkeit für Krankheiten und Kindersterblichkeit etc. Während sich die Ju/’Hoansi in der Vergangenheit, wenn die sozialen Probleme in den Siedlungsgebieten zu groß wurden (fast) frei und problemlos in ihre Buschgebiete zurückziehen konnten, wird ihnen diese Chance, einen Ausweg aus sozialen Problemen im Rückzug in ihre ursprüngliche Kultur zu finden, heute verwehrt. Den San im westlichen Buschmannland wird beispielsweise per Gesetz verboten zu jagen, des weiteren haben sie keine Möglichkeit zu nomadisieren, da große Teile ihrer traditionellen Gebiete kommerzielles, für die San also nicht zu betretendes Farmland ist. Die Folge, die besonders schwer wiegt, ist die starke Abhängigkeit der Ju/’Hoansi von Hilfen anderer. Waren die San traditionell insbesondere vom Klima abhängig, so sind sie es in Anbetracht großer Armut heute von Nahrungshilfen der Regierung.

Es kann festgehalten werden, dass die traditionelle Kultur der San unterdrückt wird und ihnen andererseits der Zugang zu einem modernen Namibia erschwert oder verwehrt bleibt. Die Ju/’Hoansi scheinen sich zwischen den traditionellen Aspekten ihrer Kultur und zwischen dem Streben nach einem fortschrittlichen Leben im modernen Namibia zu befinden, ohne allerdings die positiven Aspekte beider Lebensformen vereinen zu können; eine Kompatibilität scheint nach allen Erkenntnissen sehr schwierig und die ursprüngliche kulturelle Identität der San geht immer weiter verloren.

San - Gefangen zwischen Tradition und ModerneSan - Gefangen zwischen Tradition und Moderne

Konstruktion von Stereotypen

Die San sind seit ihren ersten Kontakten mit anderen Kulturgruppen der Konstruktionsfokus von Bildern der ihnen gegenüber „weiterentwickelten“ Kulturen. Die Nama, eine Sprachgruppe des südlichen Afrikas, die der Volksgruppe der San ihren heute etablierten Namen gaben, bezeichneten sie aufgrund ihrer Lebensweise als Nomaden und ihres Verzichts auf Landwirtschaft und Viehbesitz als unterprivilegiert und untermenschlich.. Nach ersten Begegnungen mit europäischen Besuchern, wie Großwildjägern, Händlern oder auch Missionaren wurden die San als minderwertig und primitiv angesehen und teilweise noch nicht einmal als Menschen betrachtet. Doch schon damals ging von den San auch die Faszination aus, die heute neben der Wahrnehmung des Primitiven noch teilweise feststellbar ist. Eben nicht nur untermenschlich, sondern teilweise auch übermenschlich (oft im Sinne von animalisch) wurden die San wahrgenommen und dargestellt. So sprach man ihnen die Fähigkeit zu übermenschliche Mengen an Nahrung zu sich nehmen zu können.

Heute hingegen überwiegen oft Konstruktionen des harmonischen San, der immer noch im absoluten idyllischen Einklang mit der Natur lebt und von der modernen Welt entweder nichts wissen will oder sich nicht in ihr einfinden kann.

Foto von San / 1930er Jahre (aus Gordon / Douglas 1992, 4)Untertitel: "Bushmen after a raw meat feast" von Gordon / Douglas 1930er Jahre

Steckbrief

Juhoansi Ethnologie

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